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Adorno und die Kabbala (2016)

Im neunten Band der Reihe Pri ha-Pardes geht Ansgar Martins kabbalistischen Spuren in der Philosophie Theodor W. Adornos (1903–1969) nach. Der Frankfurter Gesellschaftskritiker griff im Rahmen seines radikalen materialistischen Projekts gleichwohl auch auf ‚theologische‘ Deutungsfiguren zurück.

Vermittelt durch den gemeinsamen Freund Walter Benjamin (1892–1940) stieß Adorno dabei auf das Werk des Kabbala-Forschers Gershom Scholem (1897–1982). Zwischen Frankfurt und Jerusalem entwickelte sich eine lebenslange Korrespondenz.

Für Adorno erscheint vor dem Hintergrund lückenloser kapitalistischer Vergesellschaftung jede religiöse Sinngebung in der Moderne als unmöglich. Der Tradition der jüdischen Mystik schreibt er hingegen eine innere Affinität zu dieser hoffnungslosen Logik des ‚Verfalls‘ zu.

Sie scheint ihm zur unumgänglichen Säkularisierung religiöser Gehalte aufzufordern. Adorno kabbalistische Marginalien beziehen einen breiten Horizont jüdisch-messianischer Ideen ein. Er verleugnet dabei nie, dass es ihm um eine sehr diesseite Verwirklichung geoffenbarter Heilsversprechen zu tun ist:

Transzendenz sei als erfüllte Immanenz, als verwirklichte Utopie zu denken. In diesem Anliegen sieht Adorno selbst jedoch gerade seine Übereinstimmung mit der Kabbala.

  „Der Gestus des interpretierenden Gedankens gleicht dem Lichtenbergischen 
  ‚Weder leugnen noch glauben‘, den verfehlte, wer ihn einebnen wollte auf bloße Skepsis. 
  
  Denn die Autorität der großen Texte ist, säkularisiert, jene unerreichbare, 
  die der Philosophie als Lehre vor Augen steht. 
  
  Profane Texte wie heilige anschauen, das ist die Antwort darauf, 
  daß alle Transzendenz in die Profanität einwanderte und nirgends überwintert als dort, 
  wo sie sich verbirgt.“ – Theodor Adorno: Zur Schlußszene des Faust (1959)

Ansgar Martins: https://www.academia.edu/28386869/Adorno_und_die_Kabbala_2016

"… er unterstellte, dass die kabbalistischen „Spekulationen […] auf den deutschen Idealismus bedeutenden Einfluß ausgeübt hatten und mir darum philosophisch wiederum vertrauter und näher waren, als es […] zu erwarten gewesen wäre.“ (GS 20.2, 483)" S.11

"Auf jüdische Mystik referiert er – im Unterschied zu anderen religiösen Traditionen – als gelingendes Beispiel einer Einwanderung des Sakralen ins Profane, er unterstreicht, anknüpfend an Scholem, ihren „Umschlag“ in Aufklärung." S.12

"Adornos ‚Kritische Theorie‘ ist kritische Theorie, die gegen den Widersinn der modernen Gesellschaft auf deren praktische Veränderung zielt. Einstweilen entfaltet sie ihre argumentative Kraft weniger in systematischen oder (gar religions-)historischen Betrachtungen als aus konkreten theoretischen Interventionen, d. h. daraus, „ganz profane, dafür aber akute Erscheinungen zu zerlegen“. S.13

  Jürgen Habermas hat seinen  Vorwurf, dass die „Idee der Versöhnung“, 
  d. h. letztlich die Idee der Utopie, sich mit Adorno nicht mehr denken lasse, 
  um den Hinweis ergänzt: 
  „Allenfalls läßt sich diese Idee noch in den Bildern der jüdisch-christlichen Mystik umkreisen […].“
  

Gibt es Ein richtiges Leben im Falschen?

Die Frage: Gibt es ein richtiges Leben im Falschen ist für Viele eine Kurzfassung von Adorno geworden, die auch gelegentlich auf ein Was tun? von Lenin reduziert werden kann: Denken und reden, aber sonst?

Die Kritische Theorie wurde in der deutschen Auseinandersetzung und Rezeption der letzten Jahre sehr auf "etwas philosophieren" reduziert, ohne den internationalen und den psychotherapeutischen Kontext und seine Entwicklungen wirklich ernst zu nehmen.

Die internationalen Fortschreibungen in den süd- und nord-amerikanischen Literaturen nahmen zum Beispiel die Gedanken von Paulo Freire und der Pädagogik der Unterdrückten auf, die sich neben etlichen Pädagogen auch auf Antonio Gramsci, Rosa Luxemburg und Gustav Landauer beziehen, und führen diese in feministischen, kolonial-kritischen und umweltbewussten Gedanken weiter, die hierzulande an den Hochschulen noch Neuland sind.

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